Honig – ein Superfood des Ayurveda

Von Kerstin Rosenberg und Oliver Becker

Geliebt, gehasst, gefürchtet – Honig ist im Ayurveda umstritten wie kaum ein anderes Nahrungsmittel. Schon in der klassischen Ayurveda-Medizin hatte das goldene Bienenelixier Anhänger und Gegner. Die vorwiegend chirurgisch orientierte Sushruta-Tradition rühmte den Honig aufgrund seiner aphrodisierenden, wundheilenden und fettverbrennenden Wirkung. Die Charaka-Tradition, eher mit innerer Medizin befasst, beurteilte den Honig strenger: Sie wusste um die Gefahren der Bildung von Ama, also von Unverdautem und Toxinen, beim falschen Umgang mit Honig.

Auch die hiesige Medizin hat sich intensiv mit dem Honig auseinandergesetzt: Sie erkennt an, dass Honig auf äußeren Wunden heilsam wirkt. Manuka-Honig ist hier besonders geeignet. Diese Honigsorte wird aus dem Blütennektar einer Teebaumpflanze in Neuseeland gewonnen und ist besonders reich an entzündungshemmenden Stoffen. Der von ayurvedischen Schriften hoch geschätzte indische Honig verfügt ebenso wie unser heimischer Wald- oder Blütenhonig auf dem Frühstücksbrötchen nicht über diese außergewöhnlich hohe Konzentration an antibakteriellen und antimykotischen Heilsubstanzen des Manuka-Honigs. Dafür kann „normaler“ Honig entsprechend der ayurvedischen Klassifizierung vieles andere!

Einzigartige Wirkstoffe und komplexe Heilqualitäten

Die ayurvedische Ernährungslehre wertschätzt den Honig als natürliches Süßmittel, welches alle Doshas harmonisiert. Insbesondere reduziert er Kapha und stimuliert das Verdauungssystem. Vor allem für Menschen, die Stress ausgleichen und Gewicht reduzieren möchten, ist die tägliche Portion Honig segensreich. Faszinierend ist die komplexe Zusammensetzung mit oft widersprüchlichen Qualitäten, die den Honig charakterisiert und einzigartig macht: 

Der Honig 

  • Schmeckt süß (rasa), wird aber auf scharfe Weise verdaut (katu vipaka). Damit tut er der Psyche gut und reduziert gleichzeitig das Fettgewebe.
  • Wirkt trotz seiner schweren, trockenen und kalten Eigenschaften aktivierend, belebend und reinigend auf den Organismus.
  • Regt Agni an (dipana-Qualität) und kratzt aus (lekhana-Qualität). Beides sind Ausnahmen bei Nahrungsmitteln mit süßem und zusammenziehendem Geschmack.  
  • Ist eines der seltenen Lebensmittel, welches als Verstärker bzw. Katalysator (yogavahi) für die Wirkungen von Nahrungsergänzungen und Heilmitteln eingesetzt werden kann. Damit ist er Bestandteil fast jeder ayurvedischen Heildiät und wird zudem als Trägersubstanz (anupana) für ayurvedische Mittel verwendet.

Welcher Honig empfiehlt sich? 

Deutschland ist ein Honig-Land. Über 1kg Honig verzehren wir Deutschen im Durchschnitt pro Jahr. Doch nur ca. 20% des im Handel erhältlichen Honigs stammt auch aus heimischen Gefilden: Ausländische, z.B. südamerikanische Produkte, decken den Großteil des Bedarfs. Hier gilt es, sich an die Bedeutung zu erinnern, die Ayurveda mit der Wertschätzung von „Desha“ geografischen Einflussfaktoren beimisst: Desha bedeutet Heimat. Dem Desha-Prinzip zufolge sind regionale Nahrungsmittel besonders wohltuend und verträglich. So sollten wir, wenn immer möglich, den heimischen Honig einem Export-Produkt vorziehen.

Vielfältig und faszinierend ist das Sortiment hiesiger Honige: Wir können unter neun Honigarten wie Blütenhonig oder Wabenhonig und zig Honigsorten auswählen. Da gibt es helle und dunkle, milde und kräftige Honigsorten aus den Blüten mannigfacher Pflanzen wie Sonnenblume und Kastanie, Eukalyptus und Thymian. Diese Vielfalt kennt die ayurvedische Literatur nicht, die nur zwischen vier bzw. acht Honigarten differenziert. Ayurveda unterscheidet diese weniger anhand der Blüte als anhand der Bienenart, der Qualitäten und der Wirkung auf die Doshas. 

Grundsätzlich lässt sich sagen: Je dunkler und kräftiger eine Honigsorte, umso verdaulicher, bekömmlicher und nährender ist der Honig und umso stärker seine Kapha ausgleichende und auskratzende Qualität. Helle und milde Honigsorten hingegen harmonisieren vor allem Vata und Pitta. Wer allerdings unter zu viel Hitze – etwa bei Fieber – leidet, der sollte Honig lieber meiden, um den katabolischen Stoffwechsel nicht noch weiter anzuregen. Speziell von Honigsorten aus mehreren Pflanzen, wie etwa Blüten- oder Waldhonig, ist bei Hitzezuständen abzuraten.

Generell macht Hitze den Honig zu Gift! Wie auch die moderne Ernährungswissenschaft warnt auch Ayurveda vor erhitztem Honig: oberhalb von 40°C gehen unter anderem wertvolle Enzyme verloren. Erhitzter Honig fördert im Organismus Ama, also unverdaute und pathogene Stoffwechselzwischenprodukte. Dies macht den Honig ungeeignet zum Kochen oder Backen. Selbst beim Teetrinken sollte die heiße Flüssigkeit erst auf eine trinkfähige Temperatur abkühlen, bevor der Honig bedenkenlos hinzugefügt werden kann. Berücksichtigen wir dies nicht, so wird aus dem gesundheitsfördernden Vitalspender ein Krankheitsfaktor für den Verdauungstrakt und das Immunsystem.

Vorsicht bei der Mischung

Die zweite Grundregel der Ayurveda-Diätetik zum gesunden Umgang mit Honig sagt: Honig muss passend kombiniert werden. Im Verein mit manchen Substanzen (viruddhahara) ist er unverträglich und giftig. Als besonders schädlich beschreiben ayurvedische Schriften die gleichteilige Mischung aus Ghee und Honig. Obwohl beide Nahrungsmittel für sich genommen verjüngen, reinigen und entgiften sowie zu den besten Trägersubstanzen (Anupana) für Heilmittel zählen, sollten sie auf keinen Fall 1:1 gemischt zusammen eingenommen werden. Überwiegt allerdings eine der Substanzen deutlich die andere, so ist der Verzehr unbedenklich.

Das Alter macht den Unterschied

Nicht nur Herkunftsort, Sorte und Verwendungsform beeinflussen erheblich die Verträglichkeit des Honigs. Auch das Alter sollte beachtet werden. Grundsätzlich empfiehlt Ayurveda, den Honig mindestens ein Jahr lang im geschlossenen Glas an einem abgedunkelten Ort zu lagern, um die Bekömmlichkeit zu verbessern. Je länger der Honig steht, umso stärker kristallisieren die Zuckeranteile und verbessert sich die enzymatische Zusammensetzung. 

Wer Honig eher als aufbauenden Energiespender in die tägliche Ernährung einbauen möchte, der sollte allerdings einen möglichst „jungen“ Honig mit cremiger Konsistenz verwenden. Je älter der Honig wird, umso fester und konzentrierter wird er in seiner Kapha reduzierenden und fettverbrennenden Wirkung. Bei einigen Honigsorten jedoch wie Akazie, Kastanie oder Tanne ist die Konsistenz kein verlässlicher Indikator für das Alter. Sie bleiben länger flüssig, und ihr Alter lässt sich nur am Abfülldatum und an der Geschmackskonzentration erkennen.

Die altersbedingte Veränderung des Honigs sollte immer beachtet und je nach Situation genutzt werden: Um Stress zu reduzieren und das Immunsystem zu stärken empfiehlt sich eine morgendliche Milch mit Honig und verjüngenden, beruhigenden Kräutern wie Ashvagandha. Auch Shatavari mit frischem Klee- oder Rapshonig wirkt hier heilsam. Um hingegen mit Honig im Rahmen einer reinigenden Anti-Kapha-Diät das Gewicht zu reduzieren, eignet sich eher ein älterer dunkler Tannen- oder Kastanienhonig, den man am Morgen mit Pippali (langem Pfeffer) und warmem Wasser genießt.

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