Zeit der Einkehr und Stärkung
Für manche ist der Winter die schönste Jahreszeit. Die Tage werden kürzer, dunkler und kühler. Die optimale Zeit, um sich zu Hause in einer Decke einzukuscheln, ein gutes Buch zu lesen und einen warmen Tee zu trinken. Warum das auch noch gut für die Gesundheit ist, erklärt die ayurvedische Gesundheitslehre, für die der Winter bereits im Oktober beginnt.
Jahreszeiten im Ayurveda
Saisonale Faktoren spielen in der Ayurveda-Heilkunde eine wichtige Rolle für die Gesundheit. Denn mit den Jahreszeiten verändert sich das Zusammenspiel der Doshas und Agni in unserem Organismus, welche maßgeblich für das körperliche und mentale Wohlbefinden verantwortlich sind. So ist der von Kälte geprägte Winter eine Zeit, in der Vata ansteigt und damit das Immun- und Nervensystem besonders sensibel auf reizende Außenfaktoren reagiert. Viel Ruhe, wärmende Tees und beruhigende Stärkungsmittel tun jetzt besonders gut. Andererseits steigt auch die Verdauungskraft von Agni an, was uns mehr Hunger und eine bessere Verstoffwechslung beschert. Dazu erklärt die Susrutha Samhita: „Wenn es kalt ist, brennt das Feuer in einem Ofen aus Lehm noch heißer, als in freier Natur. Genauso nimmt auch Agni in der kalten Jahreszeit, geschützt von unserer Körperhülle, zu.“
Anabolische und katabolische Stoffwechselphasen im Winter
Mit ansteigender Kälte reagiert das Stoffwechselsystem mit einer immer stärker werdenden Verdauungskraft, die es uns erlaubt, etwas üppigere Mahlzeiten und auch schwer verdauliche Speisen ohne Reue zu konsumieren. Allerdings verarbeitet der Zellstoffwechsel vor Weihnachten die reichhaltige Kost auf andere Weise, wie nach den Festtagen. Denn im Ayurveda unterscheiden sich der frühe Winter (Hemanta Ritu) von Ende Oktober bis Ende Dezember und der späte Winter (Shishima Ritu) von Ende Dezember bis Ende Februar vor allem durch die unterschiedliche Qualität des Gewebsstoffwechsel (dhatvagni):
- In den frühen Wintermonaten wird die Nahrung auf katabolisch dominierte und damit Energie freisetzende Weise verwertet
- In den späten Wintermonaten setzt eine ausgeprägt anabolische Stoffwechselphase ein, die der Energie Speicherung und dem Gewebeaufbau dient.
Diese unterschiedlichen Stoffwechselqualitäten sollten auch in den persönlichen Aktivitäten und Ernährungsgewohnheiten Berücksichtigung finden. So eignen sich die frühen Wintermonate beispielsweise hervorragend für gewichtsreduzierende und leistungsanregende Maßnahmen. Spätestens nach Weihnachten brauchen Körper und Geist dann eine Ruhepause, um die Gesundheit zu stärken und neu Kraft zu schöpfen.
Leistungskraft und Immunstärke für den frühen Winter
Oftmals ist die Zeit bis zum Ende des Jahres von großer Betriebsamkeit und Produktivität geprägt. Der Dezember ist erfüllt von eng getakteten Terminen, die sich aneinander reihen und Projekten, die noch bis Weihnachten fertig gestellt werden sollen. Glücklicherweise versorgt uns zu dieser Zeit auch der innere Biorhythmus mit einer ausgesprochen dynamischen Kraft, die von einem starken Verbrennungsmotor angetrieben wird. Das vom winterlichen Vata entfachte Verdauungsfeuer (Agni) erhöht die Verdauungskapazität und ermöglicht, die vielen Naschereien und Festmenüs der Vorweihnachtszeit auf bestmögliche Weise zu genießen. Ebenfalls steigert der katabolisch verbrennende Gewebsstoffwechsel die körperliche Leistungsfähigkeit und Effizienz.
Doch Vorsicht – die gesteigerten Aktivitäten des frühen Winters können auch den Stress und das Vata-Dosha erhöhen, was zu einer verstärkten Krankheitsanfälligkeit für Erkältungen oder grippalen Infekten führt. Zur Verbesserung der eigenen Abwehrkräfte sollten aus ayurvedischer Sicht alle wärmenden, aufbauenden und immunstärkenden Nahrungsmittel und Kräuter, wie hochwertige Öle, fermentierte Milchprodukte, kräftige Brühen und herzhafte Eintöpfe aus Kohl- und Wurzelgemüse bevorzugt eingenommen werden. Wer keinen strengen vegetarischen oder veganen Ernährungsstil pflegt, darf auch etwas mehr tierische Eiweiße in seinen Speiseplan integrieren. Der mäßige Verzehr von Tieren aus Feuchtgebieten wird in der ayurvedischen Literatur zum therapeutischen Dosha- und Agni-Ausgleich im frühen Winter ausdrücklich empfohlen. Dazu zählen in der nordeuropäischen Vegetationszone vor allem Geflügel wie Ente, Gans und Pute sowie Süßwasserfisch, die in moderater Menge (max. 1x pro Woche) der Gesundheitsstärkung dienen können. Wer lieber vegetarisch oder vegan lebt, sollte mit genügend Ölen, Nüssen und proteinreichen Energieträgern wie Seitan oder Tofu den Speiseplan ausreichend schwer und nährend gestalten.
Die Batterien aufladen im späten Winter
Ab Ende Dezember beginnt im Innen und Außen ein Winterschlaf. In der Natur kehrt Stille ein – alles wird ruhiger, langsamer und auch in unserem Stoffwechsel sind die aufbauenden und energiespeichernden Funktionen in Höchstform. Der Körper speichert nun vermehrt Kapha, welches ihn vor Kälte und Auszehrung schützen soll. Auch das Immunsystem erfährt auf diese Weise einen nachhaltigen Schutz gegen die gesundheitsbelastenden Vata-Faktoren des kalten, frostigen Winterwetters.
Wollen wir die dunklen und rauen Wintertage gesund und munter überstehen, so brauchen wir einen ruhigen, dem langsameren Stoffwechselrhythmus angepassten Alltag mit viel Schlaf, Entspannungsphasen und nährender Kost, die uns wärmt, schützt und stärkt. Um die innere Wärme und die Zirkulations- und Stoffwechselaktivität anregen, ist es ratsam, über den Tag verteilt viel warmes, abgekochtes Wasser oder Ingwerwasser zu trinken.
Winterschlaf statt Winterblues
Kalte Witterung, Lichtmangel und wenig frische Nahrung schwächen den Organismus und führen zu einer vermehrten Krankheitsanfälligkeit der Atemwege, des Bewegungsapparats und der Psyche. Fast jeder leidet im Winter einmal unter einer hartnäckigen Erkältung oder trüber Stimmung, die auch unter Winterblues bekannt ist.
Je besser es uns gelingt, das saisonal bedingte Vata im Zaum zu halten, umso gesünder fühlen wir uns. Dabei helfen ausreichend Schlaf, Bewegung an der frischen Luft, regelmäßige Ölmassagen und mentale stärkende Nahrungsergänzungen, sogenannte Medhya Rasayanas – wie Amalaki und Ashwanganda – als bewährte Mittel gegen den Winterblues.