Im Interview mit Anja Berger
Anja Berger ist Diplom-Sozialwissenschaftlerin und Heilpraktikerin. Sie arbeitet in ihrer eigenen Praxis in Baden-Baden mit den Schwerpunkten Ayurveda-Medizin, Ernährungsberatung und Frauenheilkunde. In der Frauenheilkunde unterrichtet sie als Dozentin an der Europäischen Akademie für Ayurveda.
Lässt sich das traditionelle Frauenbild mit dem ayurvedischen Frauenbild vereinen?
Hier müssen wir unterscheiden zwischen der traditionellen sozialen Rolle der Frau und der universellen weiblichen Energie. Das Denken in eng definierten Rollen zwischen Männern und Frauen ist längst nicht mehr zeitgemäß. Was für mich dagegen zeitlos ist, ist die Antwort auf die Frage, was eine Frau gesund hält: Denn hier zeigt sich, dass unser moderner Lebensstil gerade uns Frauen viel hormonelle Kraft raubt.
Mit welchen Beschwerden oder Anliegen kommen die meisten Frauen in deine Ayurveda-Praxis?
Es handelt sich meistens um hormonelle Problematiken, wie zum Beispiel Wechseljahresbeschwerden oder Probleme mit der Fruchtbarkeit. In vielen Fällen leiden die Frauen zudem an Hashimoto, einer Autoimmunerkrankung oder an einer Unterfunktion der Schilddrüse. Nachlassende Leistungsfähigkeit und Erschöpfung ist oftmals auch einer der Gründe, warum Frauen in die Ayurveda-Praxis kommen. Sie möchten zu ihrer alten Kraft zurückfinden.
Ungewollte Kinderlosigkeit, Menstruations- und Wechseljahresbeschwerden? Was ist aus dem Gleichgewicht geraten, dass so viele Frauen darunter leiden?
Unser modernes Leben bringt unseren natürlichen Rhythmus durcheinander. So wird der hormonelle Regelkreislauf gestört. Hinzu kommen synthetische Hormone und sogenannte Endokrine Disruptoren in Plastik, aber auch Kosmetika.
Wir leben in einer Zeit, in der wir immer mehr wollen, in einem kürzeren Zeitraum. Meine Patientinnen haben vor ihrem Besuch schon einiges ausprobiert und hoffen, dass der Ayurveda ihnen helfen kann.
In Bezug auf die Schwangerschaft, wo sich die Frau in den Modus der Bereitschaft begeben sollte, findet sie sich oft im Kampfmodus wieder. Alles wird unternommen, damit es endlich klappt – aber das ist purer Stress. Und das hat wiederrum einen Einfluss auf die Hormonproduktion. Natürlich gibt es häufig auch organische Ursachen. Aber auch hier wäre es wichtig eine Haltung der Bereitschaft einzunehmen. Die Dinge so nehmen, wie sie gerade aktuell sind und auf das fokussieren, was die Frau selbst in der Hand hat: Ernährung, innere Haltung und der Lebensstil. Und diese Bereitschaft, die Dinge auch mal geschehen zu lassen, hält uns letzten Endes davon ab, uns die volle Kraft der Naturheilkunde zunutze zu machen.
Welche Rituale empfiehlst du oder praktizierst du, um die Weiblichkeit zu stärken?
Bei mir selbst sind es die einfachen Maßnahmen, die ich selbst praktiziere: Regelmäßige Schlafenszeiten, warmes Essen und vor allem regelmäßige Öleinreibungen – auch im Vaginal-Bereich. Und die Grundlage dafür ist das Wissen um meine Bedürfnisse. Ich denke, wir Frauen spüren diese sehr wohl auch noch in unserer modernen Zeit, zum Beispiel sich während der Menstruation zurückzuziehen. Aber wir kämpfen dagegen an und wollen immer leistungsfähig sein. Und hier tut sich ein Widerstand auf: Einerseits zu spüren, was einem guttun würde, d.h. mal alle Fünfe gerade sein zu lassen, und auf der anderen Seite weiterhin leistungsfähig sein zu wollen und zu funktionieren. Und das kostet zusätzlich Kraft. Um wieder Kraft zu schöpfen, müssen wir daher lernen unserer weiblichen Intuition wieder zu vertrauen. Das sollten wir nicht als Schwäche, sondern als Stärke sehen. Daher ist es für mich persönlich eines der wesentlichen Rituale prajñā zu kultivieren. Das Bewusstsein zu entwickeln, das mir hilft zu einer klaren Entscheidung zu kommen, was für mich gut ist und was nicht. Das beginnt in der Selbstreflexion.