Die Geschichte: damals – gestern – heute
Ausgestattet mit der Wirbelsäule und kräftigen Muskeln und Bändern ermöglicht der Rücken uns den aufrechten Gang. An manchen Teilen der Wirbelsäule lassen sich unsere evolutionären Ursprünge noch erkennen. So wird der untere Teil der Lendenwirbelsäule, also das Steißbein als Rest des Schwanzes vor Urzeiten genannt.
Die Wirbelsäule spielt eine maßgebliche Rolle, ist sie doch eine „Säule“. Eine stabile Konstruktion, aufgeteilt in Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule. Sie besteht aus ca. 33 einzelnen Wirbeln und krümmt sich in doppelter „S“-Form, auch Kyphose ( die natürliche Krümmung nach hinten) die Lordose ( die natürliche Krümmung nach vorne)genannt. So kann ein stark ausgeprägtes Hohlkreuz ebenso starke Beschwerden entwickeln wie ein ausgeprägter Rundrücken.
Die Funktion der Wirbelsäule erstreckt sich aber nicht nur über die „Haltung“, oder das „Tragen“ des Kopfes und Rumpfes, sondern sie versorgt auch das Gehirns und sichert die Mobilität. Sie verbindet Teile des Skeletts. Die elastischen Anteile der Bandscheiben sorgen für die Beweglichkeit. Und in den Lücken der Wirbelbögen verlaufen links und rechts jeweils ein Rückenmarksnerv. Diese Spinalnerven leiten Bewegungssignale des Gehirns an die Muskeln des Skeletts und die Eingeweide weiter. Aber auch alle Berührungen, Kälte, Wärme, Druck und Schmerz und andere Empfindungen der Haut werden über das Rückenmark an das Gehirn kommuniziert. Alles zusammen ergibt das zentrale Nervensystem. Die Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit auch Liquor genannt schützt die Nervenzellen und den hier angesiedelten Stoffwechsel, hilft den Druckausgleich zu vollziehen, und das empfindliche Nervengewebe zu schützen. Die Wirbelsäule ist also ein tragender Faktor. Auch auf der psychomentalen Ebene äußern sich alle Formen der Dysbalancen und „nerven-bedingte“ Erkrankungen gerne über den Rücken in Form von Schmerzen.
Die schwache Rumpfmuskulatur durch zu viel sitzende Tätigkeiten und zu wenig Bewegung und Sport sind nicht nur der Grund für Schmerzen sondern auch für Bandscheibenvorfälle oder Abnutzung der Knochen und Gelenke. Ausgebildete Rücken und Bauchmuskulatur ist der beste Schutz und bildet ein gutes Korsett für den Rumpf.
Fakten und Zahlen
Das Journal of Health geht von über 60% der Menschen aus, die in Deutschland im Jahr 2021 mit Rückenschmerzen zu kämpfen hatten. Dabei wurde auch differenziert. Am häufigsten ist der untere Rücken betroffen, sprich Lendenwirbelsäule, danach folgen die Nackenschmerzen. Mit einer Prävalenz von 66% waren Frauen von den Nackenschmerzen häufiger betroffen als Männer.
Während der Coronazeit sind die Beschwerdebilder nochmals gestiegen. Tendenziell wird uns die Last auf den Schultern zu viel. Wir „tragen“ und „ertragen“, wir handeln gegen unsere Werte, erkennen unsere eigenen-auch körperlichen Grenzen nicht an. All das schlägt auch auf unsere Psyche und auf das, was uns „hält“ und uns „aufrecht“ sein lässt. Es geht nicht nur um den „aufrechten“ Gang durch einen gesunden Rücken, es geht auch um die innere Haltung. Die Selbstfürsorge, den achtsamen Umgang mit sich selbst. Das spiegelt sich im Ayurveda an dem Verlauf und der Bedeutung der Marmapunkte im komplexen Nadi-Marma System.
Seminare zur Ayurveda-Therapie und Marma an der Europäischen Akademie für Ayurveda.
Der Rücken und seine Beschwerden sind auch „rückwertig“ des Herzens, der Lunge und oft beeinflusst von Atmung, Zwerchfell und allem, was wir emotinal zurückhalten.
Die vielfältigen Ansätze im Ayurveda: nährend – ausleitend – aufbauend
Im Ayurveda betrachten wir den Rücken aber noch aus einer anderen Perspektive. Wie immer schauen wir uns an mit welchen Geweben (Dhatus) haben wir es hier zu tun? Wo ist der Schmerz lokalisiert? Betrifft es eher Vata, also den Lendenwirbelbereich? Sind die Nerven betroffen? Oft haben wir in stressigen Lebensphasen Rückenschmerzen, weil die Nerven „blank“ liegen. Wir würden uns dann ganz gezielt mit Vata beschäftigen und statt tief in den Faszien Schmerzen zu verursachen, eher nährend und umhüllend für eine Tiefenentspannung durch eine Pristabhyanga sorgen.
Oder betrifft es den Brustwirbelbereich, den thorakalen Raum, dort wo das Herz schlägt? Die ganzheitliche Sichtweise des Ayurveda ermöglicht uns, die Ursachen des Beschwerdebildes besser beurteilen zu können um dann individuell die richtige Anwendung zu wählen. Es gibt so viele Möglichkeiten, den Therapieplan immer wieder anzupassen.
Beispiel: Bei einer akuten Rückenproblematik kann es sein, dass der Klient nicht auf dem Bauch liegen kann. Es ist also unmöglich den Rücken zu massieren. Hier kann eine „erdende“ Padabhyanga (Fußmassage) die viel bessere Wahl sein. Vata wird reduziert und ich erreiche über den Fuß auch den Körper. Oder ich massiere den Rücken im Sitzen, sollte das Liegen auf dem Rücken nicht möglich sein. In einem anderen Fall wähle ich vielleicht erst einmal Vata reduzierende, wärmende Ernährung und starte dann mit einer Rückenauflage aus Beinwell, oder aber setze einen Kati-Basti mit Rotlicht.
Folgende Anwendungen und ihre Bezeichnungen empfehlen wir für den Rücken:
Pristabhyanga: die klassische ayurvedische Rückenmassage. Hierbei wird mit einem warmen Öl der Rücken komplett geölt und durch viele verschiedenen Griffe, die oberflächlichen und die tiefen Muskulaturschichten bearbeitet. Die Pristabhyanga wird gerne vor oder nach einer Rückenauflage durchgeführt.
Kati-Basti ist der lokale Öleinlauf, der mit einem Kichererbsenring die lokale Stelle des Schmerzes entspannt, tiefe Muskeln- und Fasziengruppen beruhigt und nährt. Ausgeführt im Set, also mindestens 3x an 3 Tagen hintereinander, wenn möglich zur gleichen Uhrzeit.
Kalari Kizhis sind besonders am Schulter/Nackenbereich effizient. Sie lockern und lösen alle angespannten Regionen. Hierbei werden besondere Kräuter in einem Beutel gebunden und mit den hervorragenden medizinierten Ölen angewendet. Kalari Techniken und auch alle anderen Ganzkörpermassagen runden den Therapieplan ab.
Öle: heimisch – medizinisch – ayurvedisch
- Mahanarayam Tailam
- Karpuradi (mit Kampfer)
- Kottamchokadi
- Balashwaganda
- Johanneskraut öl
- Arnica
Ernährung: konstitutionsgerecht – frisch – verdaubar
Die Ernährung spielt im Ayurveda eine große, nachhaltige Rolle. Das Bewusstsein nur das zu verzehren, was man verdauen kann und was meine Dhatus, also alle Gewebe nährt ist ein Erfolgsträger bei jeder Behandlung im Ayurveda. Das eine geht ohne das andere nicht. Alles hängt zusammen. Meine innere Haltung, meine Wahl der Mahlzeiten und meines Lifestyles, die Bewegung, mein Schlaf. Alles zählt, alles nimmt Einfluss.
Folgende Dhatus sind betroffen, wenn wir Rückenbeschwerden haben:
- Dhatu Mamsa = Muskelgewebe > Bewegung
Ermittelnd, hegt, pflegt, vergebend, mutig, sicher, entscheidungsfähig - Dhatu Medas = Fett- und Fettgewebe > Schmierung
Zufriedenheit, Liebe, Hingabe, Gleitfähigkeit - Dhatu Asthi = Knochen- und Knochengewebe > Stützung
Unterstützung, Mut, Kreativität - Dhatu Majja = Knochenmark und Gehirnsubstanz ( Nerven) > Informationsfluss
Fülle, Selbstsicherheit
Bewegung: achtsam – maßvoll – unterstützend
Yoga wurde schon immer in der ayurvedischen Tagesroutine Dina Charya beschrieben. Neben der Hygiene und der Selbstmassage mit einem Ayurveda-Öl trägt Yoga oder auch jede andere Bewegung, die den Körper achtsam bewegt dazu bei, lange gesund zu leben und alt zu werden. Das Ziel im Ayurveda ist 100 Jahre alt werden zu können.
Persönliches Fazit: Ich habe in den 20 Jahren meiner Massage-Praxis die vielfältigen Anwendungen des Ayurveda schätzen und lieben gelernt. Die Möglichkeiten individuell und ganzheitlich zu wirken, jede Klientin individuell abzuholen und entsprechend die Strategie zu entwickeln ist besonders wirksam und effizient. Wir führen die Klientinnen in die Selbstfürsorge, Prävention und Selbstverantwortung. Langfristig können dadurch Probleme mit dem Rücken gemindert werden. Die Kombination und Sichtweise des Ayurveda ermöglichen uns sehr präzise zu arbeiten und den Therapieplan täglich anzupassen, zu erweitern oder umzustellen. Ayurveda ist mehr als ein modernes Lifestyle„tool“. Es ist ein über 2.500 Jahre altes Wissen, das die Rhythmen der Natur und ihre Energien berücksichtigt, und sehr leicht umzusetzen ist.
Petra Wolfinger
Dipl. Krankenschwester, Ayurveda-Praktikerin und -Therapeutin, Referentin an der Europäischen Akademie für Ayurveda, Co-Autorin des Buches mit „Ayurveda durch die Wechseljahre“ (mit Kerstin Rosenberg)